Sonntag, 11. Oktober 2015

Körperdarstellung von der Antike bis zum Klassizismus

Unterricht vom 28.10.

(Quelle: Michael Klant, Josef Walch: Grundkurs Kunst 2, 1990)

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Figur


Der Begriff “Figur” wird von dem lateinischen Wort “figura” abgeleitet.
In der Kunst versteht man darunter folgende Eigenschaften einer Figur:

1) Gestaltung
Meinung/Einstellung zum Körper
2) Gestalt, Aussehen, Erscheinung
man unterscheidet:
  Naturalistische Betrachtungsweise (äußerliches Aussehen)
  Realistische Betrachtungsweise (Sinn, innerliche Richtigkeit) 
3) Schönheit
idealistisch

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Vergleich einer ägyptischen Figur mit Figuren der griechischen Antike



Ägyptisch
Archaisch (8.-6. Jh. v. Chr.)
Klassisch (5./4. Jh. V. Chr.)
Hohepriester Ranefer,
um 2475 v. Chr.




- wirkt äußerst starr (Arme nah an Körper gehalten, gerade Haltung)
- Muskulatur angespannt (Fäuste)
- Arme und Beine eng mit Steinblock/Körper verbunden
- Stand-Schreit-Figuren
- Grund- und Rückenplatte
- strenge Symmetrie

Foto: Xinstalker [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons
Kouros von Anavyssos, um 530-520 v. Chr.



- streng symmetrisch
- starre “gerade” Stellung (Arme an Körper)
- Muskulatur angespannt (Fäuste)
- detaillierter (Muskulatur, Gesicht)
- Starke, autoritäre Ausstrahlung


Foto: Siren-Com [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons
Polyklet: Doryphoros, um 440 v. Chr.





äußerst detailliert, “fließende” Linien (Muskulatur, Gesichtszüge, Glieder)
- lockere Haltung
- Kontraposthaltung: Bewegung und Ruhe, Schreiten und Stehen
- Ruhige, lässige Ausstrahlung





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Hellenismus (323 v. Chr. - 30 v.Chr.)



Foto: Graz 
[CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], 
via Wikimedia Commons
Hagesandros, Athenodoros, Polydoros von Rhodos: 
Tod des Laokoon und seiner Söhne,spätes 1. Jh. v. Chr. (?)
·   “Hellenismus” = griech. hellenismos, „das Griechisch-Reden”
·   Merkmale: Tendenz zum kosmopolitischen Denken und einer stabilen zivilen Gesellschaft (Ausbreitung, Wohlstand)
·   erstmals in der Geschichte werden Figuren mit menschlichen Schwächen dargestellt = kein Drang zum Perfektionismus
·   im Gegensatz zur Antike stehen Emotionen im Vordergrund: Wut, Zorn, Verzweiflung,...
·   zerklüftete, auseinanderstrebende Form der Skulptur
·   Diagonalkomposition  Steigerung der Dramatik




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·    Kopien griechischer Kunst
·    ab Kaiserzeit (27 v. Chr.) eigenen Stil
·    Standbilder als kaiserliche Propaganda

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Mittelalter: Romanik (ca. 1000-1250) und Gotik (1130-1500)


·    die römische Antike nimmt 313 mit Erklärung des Christentums zur Staatsreligion ein Ende
·    christliche Jenseitsorientieren widerspricht Betonung des Körpers  Dominanz der Gewandfiguren
·    8. Jh. Karl der Große entscheidet „Bilderstreit“: Kunst darf der Andacht dienen  Entfaltung christlicher Kunst

Motive:
ab 1000 n. Chr.: großplastische Kreuzigungen, Marienfiguren, Madonna mit Kind

Foto: Elke Wetzig [CC-BY-SA-3.0 
(http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], 
via Wikimedia Commons
Gerokreuz, um 970. Kölner Dom
Foto: Andreas Praefcke [Public domain], 
via Wikimedia Commons
Madonna des Presbyters Martinus, 1199



ab 1400 n. Chr.: Schmerzensmutter, Pietà

Foto: Cherubino [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)],
via Wikimedia Commons
Pietà, 2. Hälfte 14. Jh.























Art der Darstellung:
- nicht mitleidserregend, sondern Ausdruck von Andersartigkeit
- Ziel: Versenkung und Vertiefung
- ab 1300 n. Chr. „Vermenschlichung“  lebendige Mutter-Kind-Beziehung bei Madonnen

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Die Renaissance (1400-1600)


·    Wandel von der theozentrischen (Gott im geistigen Zentrum) zur anthropozentrischen (Mensch als Zentrum) Weltanschauung
Albrecht Dürer: Hieronymus im Gehäus, 1514

Nach der vorherigen Christianisierung begannen die Menschen nun, sich die Welt durch Natur und Physik zu erklären und sie genauestens zu studieren = Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur:
·    Entdeckung der Zentralperspektive
·    detailgetreue Wiedergabe
·    Licht und Schatten
·    Orientierung an antiker Kunst („Renaissance“ = Wiedergeburt der Antike)

Foto: Patrick A. Rodgers [CC BY-SA 2.0 
(http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], 
via Wikimedia Commons
Donatello: David, 1430/40

Foto: Jörg Bittner Unna [CC BY 3.0
(http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], 
via Wikimedia Commons
Michelangelo: David, 1504

Donatellos „David“ (1430/40) ist der erste lebensgroße, naturnahe, freistehende Akt seit der Antike.Mit Michelangelos Werk “David” (1504) galt der Künstler erstmals als Genie, das gottähnlich Dinge erschafft.


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Der Barock  (1600-1770)


Die Barockzeit wird oftmals als “üppig und verschwenderisch” bezeichnet. Dies hat den Grund der damaligen Reformation bzw. Gegenreformation. Um Luther in den Schatten zu stellen und das Volk wieder auf ihre Seite zurückzugewinnen, scheute die katholische Kirche weder Kosten noch Mühen bei der Gestaltung ihrer Kirchen, wobei sie sich dem barocken Stil bedienten:
dynamische Bewegungsformen, Illusionismus, naturalistische Wirkung, Blattgold, Stuckverzierungen, Stuckmarmor

Foto: Zairon [CC BY-SA 3.0 
(http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], 
via Wikimedia Commons
Tiepolo: Treppenhaus der Würzburger Residenz, 1719-1781
Anders als im Mittelalter brachte der kirchliche Einfluss  keine Verneinung des Weltlichen, sondern es geht um eine Überwältigung aller Sinne à Gesamtkunstwerk (Zusammenwirken der Gattungen Architektur, Plastik, Malerei)

Aber auch Monarchen gehören zu den Auftraggebern barocker Künstler. So entstehen vor allem in katholischen Regionen Europas (z.B. Süddeutschland, Österreich) Kirchen und Schlösser, die noch heute betrachtet werden können.

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Der Klassizismus (1770-1840)


Im Zuge der Aufklärung (1700) kommt es zu großen politischen Umwälzungen (amerikanische Unabhängigkeitserklärung, französische Revolution). Das wirtschaftlich und politisch erstarkte Bürgertum wird Auftraggeber von Künstlern. Es sieht sein Menschen- und bildungsideal in der griechischen Klassik. So greift auch die Kunst auf Ideale und Mythologien der klassischen Antike zurück. Daher auch die Bezeichnung „Klassizismus“.


Jean-Léon Gérôme: Phryne vor dem Areopag, 1861
Der Klassizismus ist -im Gegensatz zur Renaissance und zur römischer Antike, die sich ebenfalls an der griechischen Antike orientierten- stärker politisch geprägt.